Urban Farming – urbane Landwirtschaft in Detroit, USA
1950 – Die Stadt Detroit erreicht mit 1,85 Millionen die höchste Einwohnerzahl ihrer Geschichte. Der wirtschaftliche Aufschwung machte Detroit zu einer der reichsten Städte Amerikas. Viele Menschen sind hierher gezogen. Grund ist die florierende Automobilindustrie, daher auch der Name Motor City, wo überdurchschnittlich gut verdient wird. Weiter von Bedeutung ist das Plattenlabel Motown.
2011 – Die neusten Einwohnerzahlen wurden veröffentlicht. 2010 leben in Detroit nur noch 713.777 Menschen.
Was ist passiert?
Anfang der 50iger Jahre kommt es zu Rassenunruhen, 34 Menschen sterben, 1967 sterben bei Unruhen weitere 43 Menschen.
Die Mittelschicht verlässt die Stadt und zieht in die Vororte. Diese Entwicklung setzt sich in den 70er und 80er Jahren fort, als die Automobilindustrie starke Konkurrenz aus Japan und Deutschland bekommt. Viele Arbeitsplätze fallen weg oder werden in die Peripherie verlegt und sind nur noch mit dem Auto erreichbar. Da man aber im Zuge der Autohysterie bewusst auf öffentliche schienengebundene Verkehrsmittel verzichtet hat, gibt es keine U- oder S-Bahn, kann die verarmte zurückgebliebene Stadtbevölkerung diese Arbeitsorte nicht mehr erreichen. Den Dolchstoß erhält Detroit mit dem Absturz von Chrysler und General Motors.
Die Stadt steht vor dem Bankrott. Die offizielle Arbeitslosenquote beträgt 30 %, inoffiziell schätzt man, dass 3/4 der Einwohner keinen Job haben. An vielen Orten gleicht Detroit einer Geisterstadt. Große Brachflächen, leerstehende und zerfallene Häuser prägen das Stadtbild. 35 Prozent des Stadtgebiets sind inzwischen unbewohnbar. Vor den Suppenküchen bilden sich lange Schlangen.
Es gibt keine Infrastruktur, Schulen schließen, Geschäfte und Supermärkte sind in die Vororte zu den zahlungskräftigen Einwohnern gezogen. Die Lebensmittelversorgung beschränkt sich auf Fertigprodukte in kleinen Eckläden oder Tankstellen. Frisches Obst und Gemüse kann man nicht kaufen.
Dennoch, letzte Woche spricht Grace Lee Boggs, eine 95 jährige Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin, in einem Interview das Lebensgefühl der vielen noch Ansässigen aus: „Ich denke, es ist für jemanden, der nicht in Detroit lebt, beim Anblick der leerstehenden Häuser sehr schwer nicht zu sagen, ich sehe hier überall Verwüstung, sondern zu sagen, ich sehe hier Hoffnung. Wir haben die Möglichkeit eigene Nahrung anzubauen, junge Menschen haben die Chance an der Weiterentwicklung teilzuhaben. Das ist sonst in einer Stadt nicht möglich. Daher ermöglichen die leerstehenden Grundstücke eine kulturelle Revolution“
Dieses Lebensgefühl ist Antriebskraft bei den Zurückgebliebenen und den zugezogenen überwiegend jungen Menschen, darunter sehr viele Künstler.
Selbsthilfe durch urbane Landwirtschaft
Um die desolate Lebensmittelversorgung zu verbessern und frisches Obst und Gemüse auf dem Teller zu haben, entstehen Anfang der 90iger nach und nach immer mehr urbane Nutzgärten. Brachflächen, vernachlässigte Hausgärten, Parkplätze, usw., für die neuen urbanen Farmen gibt es mehr als genügend freie Flächen.
Alleine oder in Gemeinschaftsgärten, auf mehreren qm oder mehreren ha, die Anzahl der Urban Farmers steigt beständig. Angebaut wird direkt auf dem Boden oder in Aufsätzen, um sicherzustellen, dass die Erde nicht belastet ist. Angebaut wird stets biologisch, ohne Einsatz von Chemie und Pestiziden.
Alleine oder in Gemeinschaftsgärten, auf mehreren qm oder mehreren ha, die Anzahl der Urban Farmers steigt beständig. Angebaut wird direkt auf dem Boden oder in Aufsätzen, um sicherzustellen, dass die Erde nicht belastet ist. Angebaut wird stets biologisch, ohne Einsatz von Chemie und Pestiziden.
Anfang 2000 beginnen sich die Gärten zu organisieren und eine Vernetzung der Community-Gärten findet statt. http://www.detroitagriculture.org
Ziel ist es Urban Gardening und Farming zu unterstützen. Mitglieder erhalten Saatgut, es finden Kurse für zukünftige Stadtgärtner statt. Der Anbau von Obst und Gemüse und auch die Imkerei wird Gruppen, Schulen und Familien näher gebracht, um die Schaffung weiterer Community-Gärten und Hofgärten zu fördern. Kinder und Jugendliche sollen durchs Gärtnern eine andere Haltung zur Ernährung bekommen, gleichzeitig hofft man, sie von der Straße zu bekommen.
Diese Gärten können die Stadt zwar nicht vollständig ernähren, aber sie können wenigstens zur Ernährung beitragen. Vor allem lernen die Menschen und besonders die Kinder wieder, den Wert gesunder Nahrung zu schätzen.
Inzwischen gibt es etwa 1300 Community-Gärten. Neben der eigenen Versorgung wird Gemüse auch an Suppenküchen gespendet oder auf Bauernmärkten und mobilen Marktständen verkauft.
Zukunft?
Diese Entwicklung fasziniert auch einen anderen Einwohner Detroits.
John Hantz, ehemaliger Finanzmanager und Multimillionär, lebt seit 22 Jahren in einem der noch verbliebenen wohlhabenden Vororte Detroits und hat eine Vision. Detroit soll die führende Position in der urbanen Landwirtschaft einnehmen. Leerstehende Fabrikgebäude sollen Gewächshäuser werden, die Versorgung der Bevölkerung sowie regionale Märkte soll mit frischem lokal erzeugtem Gemüse erfolgen. Die brachliegenden Flächen würden wieder genutzt werden.
30 Millionen Dollar möchte er in diese High-Tec-Farmen investieren. Mit Kompost geheizte Glashäuser, Terrassenbeete, Hydrokulturen (nur Wasser, keine Erde) und Aerokulturen (nur Luft) sollen zeigen, wie die urbane Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte. Er hat vor, auch Fischfarmen und hängende Pflanzungen mit einzubeziehen, die alle in Gebäuden untergebracht werden können. Er verspricht etwa 200 neue Arbeitsplätze.
Bildquelle: goldlocki |
Dennoch stößt sein Projekt in Detroit bei den urbanen Gärtnern nicht auf Gegenliebe. Hantz wird sein Gemüse nicht organisch anbauen, Pestizide gehören zu seinem Konzept, da überwiegend automatisiert, werden die High-Tec-Farmen ohne viel Personal auskommen, so werden in den ersten 10 Jahren nur 10 bis 12 neue Arbeitsplätze geschaffen. Außerdem befürchten die selbstverwalteten urbanen Kleinfarmer den Verlust ihrer Gärten durch den Aufkauf von John Hantz. Damit würden sie ihre erlangte Unabhängigkeit wieder verlieren. Laut sein.de hat Hantz bisher stets nur weiße Männer eingestellt - und das in einer Stadt in der 82% Farbige leben. Kein Wunder, dass Hantz Pläne bei der Bevölkerung nicht sehr beliebt sind.
Die Stadt zögert mit der Genehmigung dieses Projektes, da auch noch gesetzliche Grundlagen für eine kommerzielle Landwirtschaft in der Stadt fehlen. Anfang März verkaufte sie allerdings für 6.500 Dollar mehre Grundstücke an Hantz. Hantz Farms hält dies für einen Meilenstein in der Verwirklichung ihrer Pläne. Allerdings ist der Verkauf vorerst damit verbunden, dass die Gärten öffentlich sind und die hier angebauten Früchte und Gemüse nicht verkauft werden dürfen.
Hantz Farms plant auf dem Grundstück einen Park mit Apfelbäumen, Blumen und Seen.
Eine gute Taktik, um sich beliebt bei der Bevölkerung zu machen. Da die Stadt Detroit dringend Geld braucht, ist es nur eine Frage der Zeit bis die Gesetze so geändert werden, dass Hantz weiter Grundstücke kaufen kann und mit der Verwirklichung seiner Idee beginnt.
Die weitere Entwicklung dieses Projektes sollte man kritisch beobachten und hoffen, dass vorhandene Befürchtungen nicht eintreffen.
Folgende Videos haben nicht soviel mit Urban Farming zu tun, sind aber eine tolle Reportage aus Detroit